DAS UHU-HALBJAHR IM JUNI

AKTUELLES
„FUSSGÄNGERSTADIUM“

Die 2. riskante Phase (nach persönlicher Festlegung), das „Fußgänger- bzw. Wanderstadium“ der jungen Uhus, hat begonnen. Diese Phase, in der die noch nicht flugfähigen Uhus („Ästlinge“) die nähere Umgebung des Nestes zu Fuß erkunden, beginnt bei den oberfränkischen Uhus je nach Lage des Horstes bereits im Alter von ca. 4 Wochen. Bei hochgelegenem Felsennest individuell erst mit der Segel- oder ideal mit der Flugfähigkeit der Jungvögel. Die beiden beobachteten jungen Uhus sitzen diesen Lebensabschnitt auf ihrem sicheren Logenplatz aus und meistern bei weiterer guter Versorgung durch beide Altvögel auch diesen sehr riskanten Lebensabschnitt. Der weibliche Altvogel jagt wieder, hier in Sichtweite der Jungvögel.

ca. 6 Wochen alter „Fußgänger-Uhu“, Foto von Werner Borok

ca. 9 Wochen alte, flugfähige Uhus, Foto von Irmi & Ewald Hortig

Direkt neben meinem Beobachtungsplatz liegt von verhakten Brombeerranken überdacht ein schlafender, nicht eingerollter Igel mit weit von sich gestreckten Beinen und schmatzt gelegentlich. Auch für einen weiter entfernten Uhu schwer zu überhören, doch ist dieser Igel durch das großflächige Dornengestrüpp auf der älteren Rodungsfläche unerreichbar und damit sicher. In dieser ausgestreckten Lage ruhen alte Igel schon an Märznachmittagen auf dunkleren, sonnenerwärmten Felsen, um die Körpertemperatur zu halten. Das Stachelfell schlappert nach dem Winter wie ein viel zu großer Anzug um die Igel und sie nicken immer wieder ein. Ein regenarmes Frühjahr stellt die Igel vor sehr große Ernährungsprobleme und könnte sich als weiterer „Baustein“ für die Entwicklung einer Uhupopulation bemerkbar machen.
Auch dieses Jahr stakst wieder ein weiß getupftes, dunkelbraunes Rehkitz die Hangkante entlang, wenige Meter über dem Uhuhorst. Die beiden jungen Uhus, jetzt schon mit deutlicher Befiederung der Flügel zwischen den Dunen und sichtbarem Wachstum der Schwanzfedern, recken die langen Hälse, als welke Buchenblätter und winzige Steinchen über die Hangkante rieseln. Der große weibliche Uhu am Ende des Felssims liegend reagiert nicht. Profitiert das Kitz von der Nähe der an- und abfliegenden alten Uhus oder profitieren die Uhus von der Nähe der (trittfreudigen?) Ricke, was die Abwehr des Fuchses betrifft? Wer schon einmal ein „aus dem Nichts“ heranpreschendes, weibliches Reh erlebt hat, welches einem ausgewachsenen, kräftigen Fuchs mit den Vorderhufen salopp ausgedrückt den (fliehenden) Hintern versohlt, weil er sich zwei kleinen Ohrenpaaren im hohen Gras (ihren beiden Kitzen) zu sehr genähert hat, definiert „sanftmütig wie ein Reh“ ganz neu. Die Geiß hier ist ein Phantom. Wäre das Kitz nicht sichtbar wüsste ich nichts von ihrer Existenz, obwohl Rehe ihren Ruheplatz zur Nahrungsaufnahme auch mittags verlassen und das Gebiet um den Uhubrutplatz seit mehreren Monaten und zu unterschiedlichen Zeiten beobachtet wird.
Eine Information aus bereits skeptischen Jägerkreisen, dass ein zugegeben sehr großer (weiblicher?) Uhu mehrere Rehkitze erbeutet habe erwies sich nach persönlicher Überprüfung als völlig unglaubwürdig. Ein neugeborenes Kitz würde von der Größe jedoch in das Beuteschema eines großen Uhus passen.

NAHRUNG IM JUNI

Passend zum hohen Nahrungsbedarf der jungen Uhus ist der Monat Juni eine Art „Schlaraffenland“ mit Nahrungsüberschuss für sehr viele Wildtierarten. Auf dem Felsturm der dem Horst am nächsten liegt sind mit einem Spektiv die säuberlich ausgeschälten Stachelhäute mehrerer Igel deutlich zu erkennen. Auf dem Horstsims selbst liegen eine Igelhaut, der bis auf die Knochen abgezauste Flügel einer jungen Rabenkrähe und typische schwarzweiße Flügelfedern einer Elster. Bei einer geköpften größeren Mäuseart könnte es sich um eine Schermaus oder auch um einen jungen Bisam handeln. Selten findet man in den Tälern der Fränkischen Schweiz Skelettteile von Fischen als Nahrungsreste der Uhus. Mancher Uhu fischt jedoch nicht nur gelegentlich, sondern badet auch gerne wild planschend mit anschließendem Sonnenbad. Ob er sich damit Haut- oder Gefiederparasiten erwehrt, abkühlt oder große Freude daran hat bleibt sein Geheimnis. Der Uhu ist also keineswegs ein „lichtscheuer Geselle“ der ständig im Dunkeln sitzt. Auch dieses Klischee ist bei genauerer Betrachtung der Art nicht zu halten und verdeutlicht einmal mehr, wie stark Erwartungshaltung und Gewohnheiten des Beobachters eine Artbeschreibung beeinflussen.

DER UHU ALS BEUTE
DAS WILDSCHWEIN

Über Zahl, Größe und Gewicht der oberfränkischen Wildschweine liegen mir keine Angaben vor. Besonders in den Wintermonaten kann man auf den Hochflächen des Wiesenttales große, urige Einzelgänger beobachten. Mit Abstand beobachtet ein erfreulich beeindruckender Anblick.
Auch ein Wildschwein wird sich als Allesfresser einen erreichbaren, noch nicht flüggen Jungvogel vermutlich schmecken lassen. Eindeutige Belege liegen mir aus der Fränkischen Schweiz derzeit jedoch noch nicht vor.

Der gewandte Rotfuchs und eventuell auch der Dachs erbeuten in der Fränkischen Schweiz junge Uhus, die im derzeitigen Entwicklungsstadium aufgeschreckt vom Felsenhorst startend, zwar schon hangabwärts segeln können ohne sich bei der Landung schwer zu verletzen, jedoch noch nicht direkt vom Boden starten können. Abgebissene Federn am Bau verraten den erfolgreichen Jäger. Auch kleine Füchse und Dachse haben großen Hunger. Die auch für die Uhupopulation lebenswichtige störungsfreie Verfügbarkeit sicherer Felsenhorste in der Fränkischen Schweiz wird nochmals besonders deutlich.
Ob Wolf, Marderhund, Luchs und Wildkatze hier Uhu-Ästlinge erbeuten kann ich derzeit nicht belegen. Seit Fleischfresser wie Braunbär oder Wolf (Ergänzung 2016: Ende April 2016 wurde in dieser Gegend ein Wolf mithilfe einer Fotofalle sicher nachgewiesen) einen noch nicht flüggen Uhu während des „Fußgängerstadiums“ in diesem Gebiet erbeutet haben, sind, was die Art Braunbär betrifft, mindestens 250 Jahre vergangen (Datierung nach Karl Dietel, Münchberg). In unzugänglichen Höhlensystemen der Fränkischen zeugen noch heute Relikte in Form vieler Knochen von der ehemals weiten Verbreitung des Braunbären. Im artenarmen, schneereichen Winterwald war der ruhende Braunbär für die damaligen hungernden Menschen vermutlich ein überlebenswichtiger „Frischfleischvorrat“, bzw. Fettvorrat.

Eine „brummige“ Anekdote:

Als ich in einer bewölkten Nacht nach feinem Regen draußen unterwegs war, wurde ich nach kaum wahrnehmbarem Raschelgeräusch sehr überraschend von einem mehrere Sekunden anhaltenden, dröhnenden Bass gestoppt. Dieses Brummen war nicht nur zu hören, sondern auch deutlich vibrierend mit der Magengegend wahrnehmbar. Vermutlich mit weit aufgerissenen Augen starrte ich in die Richtung des Geräusches, konnte jedoch keinerlei Umrisse, kein weiteres Geräusch, keinen typischen Wildtiergeruch wahrnehmen und brachte nur ein schüchternes Räuspern hervor. Mir wurde klar, dass ich mich an ein großes Wildtier angeschlichen hatte, welches mein Körpergewicht vermutlich übertrifft und dem Tier nun viel zu nahe gegenüberstand. Ein Rammstoß aus der Dunkelheit würde auch ohne Aufwärtsbewegung der Zähne sehr schmerzempfindliche Körperteile treffen. Nach einer kurzen Zeitspanne, die mir damals sehr lang erschien, setzte ich meinen Weg bogenförmig, deutlich hörbar durch das Laub raschelnd fort. Die am nächsten Morgen gefundenen Abdrücke im laubfreien Boden waren nochmals beeindruckend; besonders wenn man bedenkt, dass dieses Tier im Vergleich zur Körpermasse auf sehr „kleinem Fuß“ bzw. Huf lebt. Fazit: (Wild-)Schwein gehabt!